Eigentlich wollten die EU-Innenminister am Freitag ausschließlich über Migration reden, aus gutem Grund. Immerhin streiten die EU-Länder seit Jahren weitgehend ergebnislos über eine gemeinsame Zuwanderungspolitik. Doch irgendwer schien bei der Planung ein nicht ganz unwichtiges Detail vergessen zu haben: Auf den Tag genau vor fünf Jahren haben islamistische Terroristen in Paris 130 Menschen ermordet.
In Paris fand eine Gedenkveranstaltung statt, "und wir wollen nicht beginnen, bevor das abgeschlossen ist", sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer. Deshalb habe man die Sitzung um zwei Stunden verschoben. Ohnehin könnten EU-Innenminister angesichts der jüngsten Anschläge "unmöglich zusammentreffen, ohne über die Sicherheitslage zu sprechen", Migration hin oder her.
Damit war der Ton gesetzt, es ging in erster Linie um die Terrorismusbekämpfung – und in dieser Hinsicht soll demnächst einiges passieren. So sollen terroristische Inhalte im Internet künftig in "kürzester Zeit" gelöscht werden, möglichst innerhalb einer Stunde nach ihrem Auftauchen, sagt Seehofer. Der "dringendste Wunsch" beim Ministertreffen sei es gewesen, die entsprechenden Verhandlungen mit der EU-Kommission und Europaparlament noch in diesem Jahr abzuschließen. Auch im Schengenraum, in dem Reisen ohne Grenzkontrollen möglich ist, soll die Sicherheit verstärkt werden, unter anderem durch einen besseren Informationsaustausch und schärfere Kontrollen der EU-Außengrenzen.
Seehofer will "alle nachrichtendienstlichen Möglichkeiten"
Der wohl brisanteste Punkt ist, dass die EU-Staaten auch Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation ihrer Bürger fordern, etwa bei Messengerdiensten wie WhatsApp oder Signal.
Die Mitgliedsländer müssten dieses Thema angehen, "damit digitale Beweismittel von den zuständigen Behörden rechtmäßig gesammelt und genutzt werden können", heißt es in einer am Freitag verbreiteten Erklärung der Minister. Seehofer wurde nach dem Treffen deutlicher. "Ich persönlich bin dafür, dass wir alle nachrichtendienstlichen Möglichkeiten nutzen, die uns in der Theorie zur Verfügung stehen", sagte der CSU-Politiker.
Was genau Seehofer und die anderen Minister sich vorstellen, blieb unklar. Mehr Details stehen in zwei vertraulichen Dokumenten, die in den vergangenen Tagen durchgesickert sind und für einigen Wirbel gesorgt haben. Dabei handelt es sich um Entwürfe für eine Resolution der EU-Staaten zum Umgang mit Verschlüsselungstechnik und für Beschlüsse zur inneren Sicherheit und der Polizeipartnerschaft.
Der Zugang zu elektronischen Beweismitteln sei "unerlässlich", um erfolgreiche Ermittlungen zu führen, heißt es in einem der beiden Papiere, die dem SPIEGEL vorliegen. Die immer weiter verbreitete Verschlüsselung von Kommunikation aber mache eine Analyse der Inhalte "extrem schwierig oder praktisch unmöglich, obwohl der Zugang zu solchen Daten rechtmäßig wäre". Deshalb, so heißt es in beiden Dokumenten, müssten "technische Lösungen für einen rechtmäßigen Zugang zu verschlüsselten Daten" her. Verfasst wurden die Dokumente von der Bundesregierung, die derzeit die rotierende EU-Ratspräsidentschaft innehat.
Der Hintergrund ist, dass die meisten Messengerdienste inzwischen eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung anbieten. Dabei werden Nachrichten auf dem Gerät des Absenders verschlüsselt und erst auf dem des Empfängers wieder entschlüsselt. Unterwegs sind die Daten nicht oder nur mit großem Aufwand lesbar.
Strafverfolgungsbehörden verlangen deshalb schon lange Generalschlüssel von den Kommunikationsanbietern. Die beiden EU-Dokumente greifen diese Forderung nun auf: Lösungen zum Datenzugriff, so heißt es dort, sollen zusammen mit der Industrie entwickelt werden. Die "Vertrauenswürdigkeit der Produkte" solle dabei gewahrt bleiben. Auch ein Sprecher von Seehofers Ministerium betonte, dass man "keinesfalls die Schwächung von Verschlüsselungssystemen" fordere.
Ein bisschen Hintertür geht nicht
Kritiker halten das für einen Widerspruch in sich. Ihr Argument: Vertrauenswürdig ist Verschlüsselung nur dann, wenn niemand sie überwinden kann. "Ein Generalschlüssel für Messengerdienste würde das Grundprinzip dieses Instruments aushebeln", sagt etwa Klaus Landefeld vom Verband der Internetwirtschaft eco. Da die Verbreitung eines Generalschlüssels sich nicht kontrollieren lasse, gäbe es einen "unkontrollierten Zugriff unzähliger Bedarfsträger und Geheimdienste aus dem In- und Ausland auf die Kommunikation der EU-Bürger".
Seehofer zeigt sich dagegen genervt darüber, dass es "nach all diesen brutalen Attacken immer sofort eine Diskussion gibt" – darüber, dass die Behörden womöglich nicht genug getan oder zu langsam gehandelt hätten. "Ich will solche Diskussionen nicht mehr ohne Weiteres hinnehmen", so Seehofer. "Oft genug verweigert man uns die entsprechenden Befugnisse."
Allerdings ist das Problem oft nicht ein Mangel an Daten, sondern dass sie nicht genutzt werden. Immer wieder kommt es vor, dass Attentäter den Behörden schon vor Anschlägen bekannt sind – wie etwa Anis Amri, der 2016 mit einem Lkw in einen Berliner Weihnachtsmarkt fuhr und zwölf Menschen tötete. Auch der Syrer, der Anfang Oktober in Dresden zwei Menschen mit einem Messer angriff und einen von ihnen tötete, war seit drei Jahren als islamistischer Gefährder eingestuft.
In der EU aber gibt es nicht einmal eine gemeinsame Definition, was ein Gefährder ist. Das kann durchaus zum Problem werden, denn immerhin geht es um Maßnahmen gegen Menschen, die sich womöglich noch gar nichts haben zuschulden kommen lassen. Eigentlich sollten die Minister am Freitag auch über diese Frage diskutieren. Das aber sei unterblieben, erklärte Seehofer – "aus Zeitgründen".
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